Bereits 2011 hat sich Mannheim auf den Weg zur inklusiven Stadt gemacht. Zahlreiche Anregungen zum Thema Teilhabe, Inklusion und Barrierefreiheit wurden damals ins Leitbild 2030 aufgenommen und nach entsprechender Vorbereitung 2021 ein Bürgerbeteiligungsprozess angestoßen. Denn von Anfang an stand fest, dass es sich um ein Thema handelt, das alle angeht und von dem auch alle profitieren. Jetzt stellte das „Forum Behinderung“ erste Ergebnisse dieses Bürgerbeteiligungsprozesses im Rahmen einer virtuellen Veranstaltung vor, die – ganz im Sinne der Barrierefreiheit - mit Untertiteln sowie Gebärdenverdolmetschung live aus dem Ratssaal in N1 übertragen wurde.
Von Moderatorin Rosa Omeñaca Prado nach der Rolle der Stadt gefragt, antwortete der für Bauen, Wohnen, Verkehr und Sport zuständige Bürgermeister Ralf Eisenhauer, dass in diesem Kontext insbesondere die Stadtplanung gefragt sei. Barrierefreiheit im öffentlichen Raum müsse möglichst früh in die Planung aufgenommen werden. Allerdings gebe es verschiedene Perspektiven und damit auch Anforderungen, die Bürgerinnen und Bürger an den öffentlichen Raum stellen. „Am Ende gilt es abzuwägen“, beschrieb Eisenhauer die oft schwierigen Prozesse. Er erläuterte dies am Beispiel des für das zweite Quartal 2023 geplanten barrierefreien Umbau der ÖPNV-Haltestelle in E5 einschließlich taktilem Leitsystem hinüber ins Rathaus. Mehrere Fachbereiche seien in dieses Vorhaben ebenso involviert wie die rnv, der Denkmalschutz, die AG Barrierefreiheit oder der Badische Blinden- und Sehbehindertenverein (BBSV). Das Leitbild der Stadt Mannheim gibt nach den Worten Eisenhauers eine gute Orientierungshilfe um Prioritäten zu setzen. Danach gefragt, was seine Vision von einer inklusiven Stadt Mannheim sei, antwortete der passionierte Radfahrer: „Eine Stadt mit bestmöglichen Rahmenbedingungen für alle, in der wir diejenigen mit besonderen Herausforderungen besonders in den Blick nehmen.“
Genau das haben auch die vier Projektgruppen getan, die seit Oktober das Handlungskonzept ausgearbeitet haben. Dieses soll nach den Worten von Ursula Frenz, Beauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderungen der Stadt Mannheim, noch vor der Sommerpause dem Gemeinderat zur Beschlussfassung vorgelegt werden.
„Wir werden nicht müde zu betonen, dass die Aufgaben rund um die Themen Inklusion und Barrierefreiheit ein Thema der gesamten Stadtgesellschaft sind und dass die Verbesserungen, die wir erzielen, einen Nutzen für alle haben“, betonte Ruth Kupper vom Team Bürgerschaft und Beteiligung. Daher sei es nur konsequent, die gesamte Bürgerschaft in die Erstellung des Handlungskonzeptes einzubinden. Eine Online-Umfrage mit circa 400 Beteiligten sowie 25 Interviews in Leichter Sprache im Frühsommer des vergangenen Jahres bildeten den Auftakt für diesen Bürgerbeteiligungsprozess. Die dabei erhaltenen Anregungen sowie die von der Stadt erstellte Bestandsaufnahme waren dann Grundlage für die zwei großen Workshops – einmal digital, einmal in Präsenz – , die danach stattfanden. Dabei hatten vier Projektgruppen, bestehend sowohl aus Expertinnen und Experten in eigener Sache als auch aus Vertreterinnen und Vertretern von Institutionen, Verbänden, von freien Trägern sowie aus Politik und Verwaltung, die bereits bestehenden Maßnahmen bewertet. Darüber hinaus beschrieben sie Handlungsfelder. Sie setzten konkrete Ziele, formulierten und priorisierten die dazugehörigen Handlungsempfehlungen und diskutierten über Umsetzungsmöglichkeiten.
Frenz stellte die insgesamt zehn Handlungsfelder vor, die sich rund um die Themen Bildung, Bauen, Wohnen, Arbeit, Soziales, Gesundheit, Sport und Kultur drehen. Es geht um die Teilhabe an Demokratie ebenso wie um barrierefreie Zugänge zu Informationen. „Wir stecken noch mitten im Prozess, wollen aber den Rahmen für konkretes Handeln setzen und auch den Druck hochhalten“, erklärte Frenz. Ob nun digitale Barrierefreiheit oder taktile Leitsysteme im öffentlichen Raum, in Mannheim werde bereits viel für eine inklusive Stadt gemacht. Und doch gebe es noch viel zu tun. Beispielsweise um sicherzustellen, dass auch gehörlose Menschen mitbekommen, wenn Probe- oder Katastrophenalarm ausgelöst wird. Frenz sprach auch von sogenannten Querschnittsaufgaben. Eine davon lautet, dass es zu zahlreichen Themen zwar Informationen gibt, diese oft jedoch nur schwer zu finden sind. Beispiel inklusive Kinderbetreuung: Hier will man den Eltern die bereits existierenden Informationen leichter und möglichst analog und digital zugänglich machen. Junge Menschen mit Behinderung erhalten Zugang zu allgemeinen und beruflichen Schulen, Erwachsene zu den Angeboten der Erwachsenenbildung – das wird ebenso als Ziel formuliert. Inklusiv und barrierefrei gestaltet werden sollen auch der Übergang Schule/Beruf, die Berufsausbildung selbst sowie Maßnahmen der Fort- und Weiterbildung. „Inklusion am Arbeitsplatz ist nicht selbstverständlich, es braucht ständig Werbung bei potenziellen Arbeitgebern“, so Frenz und stellte den in der Projektgruppe erarbeiteten Vorschlag einer Kampagne mit Mannheimer Betrieben vor, die hier mit gutem Beispiel vorangehen. Vorbild könnte auch die Stadtverwaltung selbst sein, indem Praktika und ein inklusives freiwilliges Soziales oder Ökologisches Jahr angeboten werden.
Weiteres Ziel: Der öffentliche Raum soll so gestaltet werden, dass sich alle dort sicher bewegen können. Taktile Leitsysteme für Blinde und Sehbehinderte gehören ebenso dazu, wie akustische Signale an Bahnübergängen und Kreuzungen, abgesenkte Bürgersteige sowie Verkehrskontrollen mit Fokus darauf, dass Gehwege, Kreuzungen und Blindenleitsysteme frei- und Parkberechtigungen eingehalten werden. Darüber hinaus sollen private Bauherren fürs barrierefreie Bauen und Wohnen gewonnen und Veranstalter aus Kultur, Sport Freizeit ebenfalls für die besonderen Anforderungen von Menschen mit Behinderung sensibilisiert werden, damit diese an den Angeboten teilhaben können.
Als Expertinnen und Experten in eigener Sache kamen Martin Köhl von der AG Barrierefreiheit Rhein-Neckar und Maria Huber vom Badischen Blinden- und Sehbehindertenverein zu Wort. „Teilhabe ist, wenn wir gar nicht mehr darüber nachdenken müssen“, brachte es Köhl auf den Punkt. Zu den Querschnittaufgaben „Lernen in allen Lebenslagen“ sowie „Digitalisierung“ informierten Susanne Dess, Geschäftsführerin Mannheimer Abendakademie und Volkshochschule GmbH, und Judith Geiser, Abteilungsleiterin im Fachbereich Informationstechnologie der Stadt Mannheim. Beide betonen das Ziel, die jeweiligen Angebote so zu gestalten, dass nicht jede einzelne Situation und Information angepasst werden muss.
Geht das Handlungskonzept nach entsprechendem Gemeinderatsbeschluss in die Umsetzung, sieht Frenz die Arbeit des Forums nicht als beendet an. „Denn der Prozess selbst wird nicht enden, sondern sich verändern“, erklärte sie. Neue Handlungsfelder könnten sich auftun und bereits formulierte angepasst werden. Daher will man, möglicherweise dann unter dem Namen „Forum für Inklusion und Barrierefreiheit“ im Abstand von zwei bis drei Jahren über die jeweiligen Fortschritte berichten. „Es ist daher nach wie vor wichtig, so viele Akteure der Stadtgesellschaft wie möglich einzubinden“, betonte Frenz.
Der Livestream ist nach wie vor abrufbar, unter www.mannheim.de/forum-behinderung