UL 14 - Bürgerbeteiligung mit Wirkung?
Der Stadtforscher und Stadtplaner Prof. Dr. Klaus Selle hat in den vergangenen Jahrzehnten bundesweit Erfahrungen mit Bürgerbeteiligung in der Stadtentwicklung gesammelt. Mit einem Impuls des ehemaligen Leiters des Lehrstuhls für Planungstheorie und Stadtentwicklung an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen startete das Urban Lab 14 „Bürgerbeteiligung mit Wirkung?“.
Nach Selles Erfahrungen zeigt Bürgerbeteiligung in der Stadtentwicklung meistens Wirkungen. Aus unterschiedlichen Gründen würden diese jedoch nicht immer erkannt. Beispielsweise, weil mitunter mehrere Jahre von der Beteiligung bis zur Umsetzung vergehen und Rückmeldungen an die Beteiligten vergessen werden. Oder die Wirkung der Beteiligung wird generell in Abrede gestellt, weil das Ergebnis nicht den eigenen Wünschen entspricht. Teilweise werden durch entsprechende Ankündigungen auch überzogene Erwartungen geweckt, deren Erfüllung nicht realistisch ist.
Ausgehend von seinen Beobachtungen gibt der Stadtforscher folgende Empfehlungen, um zu einer höheren Zufriedenheit mit Beteiligungsprozessen zu kommen.
- Mehr Komplexität zumuten: Die Städte sollten für die Beteiligten relevante Fragestellungen herausarbeiten, anstatt offene Wunschlisten zu führen. Um solche Fragestellungen mit den Bürger*innen sinnvoll bearbeiten zu können, müssen auch komplexe Zusammenhänge vermittelt werden.
- Klarheit wagen: Die Bürger*innen sollten über die Rahmenbedingungen wie den tatsächlichen Entscheidungsspielraum und die Handlungsmöglichkeiten der Kommunen aufgeklärt werden. Wenn es nur um Information geht, sollte nicht der Eindruck vermittelt werden, es gäbe etwas mitzugestalten.
- Realität einbeziehen: Durch „Stresstests“ sollte in Beteiligungsprozessen die Realisierbarkeit überprüft werden, zum Beispiel durch die Rückkoppelung von Zwischenergebnissen mit dem Gemeinderat und Expert*innen. So können Korrekturen vorgenommen und späteren Enttäuschungen vorgebeugt werden.
- Pluralität erlebbar machen: Bei der Stadtentwicklung gibt es viele Aspekte zu berücksichtigen. Die Interessenslagen von den verschiedenen Bevölkerungsgruppen, Handel, Gewerbe, Wohnungswirtschaft, Politik, aber auch Klimaschutz, Denkmalschutz, der kommunale Auftrag der Daseinsvorsorge und vieles mehr sollten klar benannt und sichtbar gemacht werden.
Dr. Hanno Ehrbeck, Abteilungsleiter im Fachbereich Geoinformation und Stadtplanung, und Manuela Skotnik, Teamleitung Bürgerschaft und Beteiligung berichten aus den Erfahrungen der Mannheimer Verwaltung.
Um Beteiligungskompetenzen in der Verwaltung zu stärken, die Qualität der Prozesse zu sichern und damit engagierte Bürger*innen zu unterstützen, hat die Stadt Mannheim die Koordinierungsstelle Bürgerbeteiligung im Fachbereich Demokratie und Strategie eingerichtet. Auf dem Beteiligungsportal (www.mannheim-gemeinsam-gestalten.de) sind die Vorhaben der Stadt und Möglichkeiten der Beteiligung gelistet.
Nun waren die Teilnehmer*innen des Urban Lab gefragt: Wie haben sie bisherige Beteiligungsprozesse in Mannheim erlebt? Hat die Bürgerbeteiligung die Umsetzung des Vorhabens verändert? Fühlten sich die Bürger*innen im Prozess gut informiert, was mit ihren Anliegen geschieht? Wie wurde mit unterschiedlichen Interessen und komplexen Fragestellungen umgegangen?
Die Diskussion drehte sich rund um die Themen Resonanz und Kommunikation.
Wichtig sei es, kontinuierlich miteinander im Gespräch zu bleiben und sich auszutauschen – gerade in Beteiligungsprozessen, die viele Jahre dauern, ist sehr relevant, dass die Kommunikation nicht abreißt. Für alle muss nachvollziehbar sein: Wo stehen wir gerade und warum stehen bestimmte Aspekte aktuell im Fokus? Neben Sachvorträgen muss für solche Dialoge in Beteiligungsveranstaltungen genug Zeit da sein.
Der Anspruch ist, die Anliegen der Bürgerschaft ernst zu nehmen und weiter zu verfolgen, so dass die Bürgerbeteiligung eine hohe Verbindlichkeit bekommt. Jede*r muss nachvollziehen können, was mit ihren bzw. seinen Anliegen anschließend passiert. Aspekte die nicht umgesetzt werden können, sollten kommuniziert und erläutert werden.
Diskutiert wurde außerdem über unterschiedliche Rollen in Beteiligungsprozessen, zum Beispiel von Bürgerinitiativen, und die Schnittstelle zu politischen Gremien.
Deutlich wurde, dass noch stärker differenziert werden muss: Wann gibt es keinen Spielraum für Beteiligung, weil bereits alles festgelegt ist? Dann ist eine gute Information entscheidend. Und wann gibt es wirklich offene Fragen, die im Rahmen von Beteiligungsprozessen beantwortet werden können? Der richtige Zeitpunkt für den Dialog muss dabei immer wieder austariert werden.
Die Ergebnisse der Diskussion mit der Bürgerschaft fließen in die Gestaltung von zukünftigen Beteiligungsprozessen und die Weiterentwicklung des Leitbilds Mannheim 2030 ein. Dort ist als strategisches Ziel verankert: „Die Mannheimerinnen und Mannheimer nutzen überdurchschnittlich engagiert die Möglichkeiten, sich in demokratischen und transparenten Prozessen an der Entwicklung ihrer Stadt zu beteiligen.“
Ein aktueller Vortrag von Prof. Dr. Klaus Selle zur Wirksamkeit von Bürgerbeteiligung findet sich auf der Homepage der Stiftung Mitarbeit:
https://www.mitarbeit.de/veranstaltungen/rueckblick/weitere_veranstaltungen/online_vortrag_selle_2020/
Mehr davon! IT, Gespräche/Resonanz, Gründe kommunizieren, transparente Information, Verbindlichkeit, frühe Sofortmaßnahmen für sichtbare Umsetzung, Raum für Fragen, Stresstests im Prozess, Interessenskonflikte benennen, Ehrlichkeit, Anliegen ernst nehmen, Klarheit ob Information oder Bürgerbeteiligung
Weg damit! ohne Politik reden, beschlossene Ergebnisse nicht umsetzen, Kommunikation abreißen lassen, Protokolle nicht transparent (BBR), englische Begriffe, lange Vorträge
Strategisches Ziel aus dem Leitbild Mannheim 2030
Mannheim zeichnet sich durch eine starke Stadtgesellschaft und gutes Verwaltungshandeln aus. Die Mannheimerinnen und Mannheimer nutzen überdurchschnittlich engagiert die Möglichkeiten, sich in demokratischen und transparenten Prozessen an der Entwicklung ihrer Stadt zu beteiligen.
Ist das Ziel aus dem Leitbild Mannheim 2030 noch treffend und vollständig?
Das Ziel ist weiter treffend und vollständig.
Was ist erforderlich, um das Ziel zu erreichen?
Positive Erfahrungen mit städtischen Beteiligungsverfahren tragen zur Zufriedenheit bei und steigern die Motivation sich weiterhin zu engagieren.
Dazu können Politik und Verwaltung durch mehr Klarheit beitragen: Werden die Bürger*innen hauptsächlich informiert oder gibt es tatsächlich etwas zu gestalten, also einen Anlass zur Bürgerbeteiligung? Falsche Erwartungen zu wecken, sorgt für Enttäuschungen.
Die Bearbeitung von konkreten Fragestellungen mit Relevanz für die Beteiligten haben eine hohe Wahrscheinlichkeit in die Umsetzung zu kommen. Das Auflisten von Wünschen führt dagegen häufig zu Verdruss, weil vieles davon aufgrund der Rahmenbedingungen nicht zu realisieren ist.
Die unterschiedlichen Interessenslagen und die Komplexität des Verfahrens sichtbar zu machen ist eine Voraussetzung, um zu einem Kompromiss und einer breiten Akzeptanz kommen zu können.
Was immer wieder verdeutlicht werden muss: Bürgerbeteiligung bedeutet nicht, dass am Ende die Bürger*innen entscheiden. Die Ergebnisse fließen in der Regel in die Entscheidung des Gemeinderats ein. Die Rollenverteilung zwischen Bürgerschaft, Politik und Verwaltung ist in unserer Demokratie begründet und sollte im Prozess vergegenwärtigt werden.
Beteiligung braucht Zeit. Bürger*innen fühlen sich nicht ernst genommen, wenn sie nach einem mehrstündigen Vortrag nur eine halbe Stunde bekommen, um Fragen zu stellen und Anregungen zu geben. Etwas in einem Workshop zu erarbeiten und gemeinsame Anliegen im Laufe eines längeren Prozesses zu entwickeln, hat eine höhere Qualität.
Verbindlichkeit und fortlaufende Kommunikation vermindern das Risiko von Missverständnissen.
Bürger*innen zu unterstützen, die sich engagieren und selbst organisieren, stärkt die Eigenverantwortung und damit die Stadtgesellschaft.
Was können wir hieraus für den Prozess des Local Green Deals ableiten?
Die Empfehlungen gelten auch für Beteiligungsangebote im Rahmen des Local Green Deal.
Was muss bei der Umsetzung des LGD beachten werden? Gibt es konkrete Maßnahmen?
Für die Umsetzung des Local Green Deal ist die Stärkung der Eigenverantwortung und das Bewusstsein für eigene Handlungsmöglichkeiten ganz besonders wichtig.
Die Vermittlung von Wissen und der offene Umgang mit Befürchtungen von Bürger*innen werden maßgeblich für den Erfolg des Local Green Deal sein.
Kommentare
am 06. Aug. 2021
um 21:08 Uhr
Beteiligung leider nur für Wenige
Hallo,
als Sozialarbeiter habe ich mit vielen Mannheimerinnen und Mannheimern aus den verschiedensten Kreisen Kontakt. Wenn ich mit ihnen über Bürgerbeteiligung spreche, dann haben Viele noch nie davon gehört. Einen Zugang kann ich in meiner Rolle leider nicht bieten: Viele Menschen haben das Gefühl, dass dieses Thema in einer eigenen Blase schwebt, in die sie nicht hineinkommen. Komplizierte Zugänge zu Plattformen der Beteiligung ergänzen das Grundproblem, dass die Leute sich nicht abgeholt fühlen.
Ich selbst stolpere immer wieder über meinen Wunsch, mich zu beteiligen, weil ich trotz Newsletter von mannheim-gemeinsam-gestalten immer das Gefühl habe, dass Dinge schon gelaufen sind und ich nur noch Ergebnisse präsentiert bekomme.
Und dann ist da noch das jüngste Beispiel einer Bekannten, die sich mit konkreten Lösungsvorschlägen zu einem Problem in ihrem Stadtteil an die Stadtverwaltung gewandt hat und sogar Geld für die entstehenden Kosten in Aussicht gestellt hat.... Sie wurde in einer Art abgewiesen, die bei ihr ein Gefühl der Bitterkeit hinterlassen hat.
Ein Maßnahmen-Vorschlag wäre da, dass die Stadtverwaltung sich darum bemüht, ihre Mitarbeiter%innen im konstruktiven Umgang mit Bürgeranliegen zu schulen.